Von der Kita in die Grundschule: Welche Auswirkungen haben die Bildungsentscheidungen der Eltern auf die Grundschulen und die Zusammensetzung der Schülerschaft in den Klassen?
In NRW besteht für Eltern prinzipiell die Möglichkeit der freien Wahl der Grundschule. In der Phase des Übergangs von der Kita (oder der familieninternen Betreuung) in die Grundschule steht also die Entscheidung an, welche Grundschule das Kind besuchen soll. Mehr als ein Drittel der Eltern, deren Kinder im Schuljahr 2021/22 erstmals in Bielefeld eingeschult wurden, entschied sich jedoch für eine andere als die wohnortnächste Grundschule. Oder die Kinder wurden aufgrund struktureller Gegebenheiten, wie bspw. erreichte Aufnahmekapazitäten der Grundschulen, an anderen Schulen aufgenommen.
Was bedeutet das für die Schulen? Welche Auswirkungen können im Hinblick auf die soziale Zusammensetzung der Schülerschaft in den Klassen und an den Schulen beobachtet werden? Führen diese Wanderungsbewegungen zu Häufungen bestimmter sozialer Lebenslagen in einzelnen Schulen und zu einer Verstärkung der innerstädtischen Segregation, also der räumlichen Trennung der Wohngebiete von sozialen (Teil-) Gruppen in der Stadt? Diese Fragen nimmt der zweite Kurzbericht zum Thema „Wanderungen zwischen Grundschuleinzugsbereichen in Bielefeld“ des Bildungsbüros der Stadt Bielefeld in den Fokus.
Grundlage für die aktuelle sozial-wissenschaftliche Analyse der Bildungsregion Bielefeld, welche in Kooperation mit einer Forscher*innengruppe der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität Bielefeld erfolgt ist, waren die Daten des Einschulungsjahrgangs 2020/21.
Soziale Merkmale von Schüler*innen und ihren Familien bzw. bildungsrelevante soziale Belastungen haben einen indirekten und direkten Einfluss auf den Bildungserfolg.
Im vorliegenden Bericht wird dargestellt, wie sich die Schülerschaft im Einschulungsjahrgang einer Schule sozial zusammensetzt und wie dies mit Bildungswanderungen, den Schulwahlentscheidungen der Eltern, den Aufnahmekapazitäten der einzelnen Schulen und den Zuschnitten der einzelnen Grundschuleinzugsbereiche zusammenhängt. Dazu wurden vorhandene Daten über die Wanderungen der Erstklässler*innen untersucht. Anhand verschiedener Grafiken wird für jede Bielefelder Grundschule nachgezeichnet, welche Effekte hier im Schuljahr 2021/22 eingetreten sind.
Hintergrund für diese Analyse sind die Annahmen im Rahmen der Schulentwicklungs- und Bildungsplanung und Bildungsberichterstattung, das soziale Merkmale von Schüler*innen und ihren Familien bzw. bildungsrelevante soziale Belastungen, zum Beispiel die monetäre Armut von Familienhaushalten, einen indirekten und direkten Einfluss auf die Entwicklung und die Rahmenbedingungen der Bildungsbiographie von Kindern, somit deren Bildungserfolg haben.
Schulen müssen gestärkt werden, um den negativen Effekten von starken bildungsrelevanten Belastungen begegnen zu können und für Eltern und Schüler*innen attraktiver zu werden.
Die soziale Zusammensetzung der Schülerschaft in den Schulen und Eingangsklassen erfordert bestimmte Ressourcen, Konzepte und Ausgestaltungen in den Schulen selbst, um erfolgreiche Bildungsbiographien zu ermöglichen. Schulen müssen gestärkt werden, um den negativen Effekten von starken bildungsrelevanten Belastungen begegnen zu können, handlungsfähiger und für Eltern und Schüler*innen attraktiver zu werden.
Im zweiten Kurzbericht werden unter anderem folgende Ergebnisse dargestellt:
Einzelne Schuleinzugsbereiche verzeichnen vermehrte Abwanderungen, andere Schulen weisen hingegen einen hohen Zulauf auf.
Die Schulen sind von den Bildungsentscheidungen der Eltern, den daraus resultierenden Wanderungen und Kompositionsveränderungen (Zusammensetzung der Schülerschaft bzw. der bildungsrelevanten sozialen Belastungen) in unterschiedlichem Umfang beeinflusst. Es zeigt sich deutlich, dass die soziale Belastung über die Stadt unterschiedlich verteilt ist. Es fällt auf, dass bei drei der am höchsten belasteten Schuleinzugsbereiche eine Verschärfung der Belastung zu beobachten ist.
Einzelne Schuleinzugsbereiche verzeichnen vermehrte Abwanderungen, andere Schulen weisen hingegen einen hohen Zulauf auf. Wieder andere Schulen nehmen in einem größeren Umfang Erstklässler*innen aus anderen Grundschuleinzugsbereichen auf und geben dann wieder in vergleichbarem Umfang ab.
Viele Eltern haben ein Bestreben, die Schullaufbahn des eigenen Kindes positiv zu beeinflussen.
Der quantitative Blick auf das Wanderungsgeschehen legt nahe, dass viele Eltern ein Bestreben haben, die Schullaufbahn des eigenen Kindes positiv zu beeinflussen. Die Bildungsaspirationen der Eltern, das heißt die Erwartungen der Eltern hinsichtlich der zukünftigen Schulabschlüsse ihrer Kinder, bestimmen die mögliche Auswahl der nicht-nächstgelegenen Grundschule und in der Folge davon resultierende Segregationseffekte.
Benachteiligungen müssen frühzeitig zielgerichtet pädagogisch bearbeit werden.
Ein Ansatzpunkt für frühzeitige Interventionen, um Benachteiligungen zielgerichtet pädagogisch bearbeiten zu können und negativen wanderungsbedingten Kompositionen entgegenzusteuern, ist die Stärkung von Schulen. Das kann z.B. durch die Entwicklung von Konzepten für Schulstandorte und zusätzliche Ressourcen geschehen. Eine kontinuierliche empirische Erfassung der Bildungswanderungen und der sich daraus ergebenden Segregationsmuster bzw. Klassenkompositionen können den Hintergrund für Förderlinien im Rahmen abgestimmter Konzepte bieten.
Welche Faktoren sind noch dafür verantwortlich, dass bestimmte Schulen einen hohen Zulauf erfahren und andere Schulen nicht?
Informationen über weitere Faktoren sind jedoch nötig. So muss genauer untersucht werden, welche Faktoren – neben den sozialen Zusammensetzungen der Schuleinzugsbereiche – dafür verantwortlich sind, dass bestimmte Schulen einen hohen Zulauf erfahren und andere Schulen von vielen Kindern des wohnortnahen Grundschuleinzugsbereiches nicht besucht werden. Dafür werden über die vorliegenden Angaben zu den Aufnahmen an Grundschulen auch Daten über die Anmeldungswünsche benötigt. Darüber hinaus sind weitere und genauere Informationen über die familiären Hintergründe der Kinder notwendig, um Rahmenbedingungen für gelingende Bildungskarrieren von Kindern aus schwierigen Lebensumwelten schaffen. Diese Daten würden das Bild, welche Schulen warum besonders nachgefragt sind, konkretisieren. Hier könnte dann die Gelegenheit genutzt werden, Ideen für Schulentwicklungsprozesse zu generieren.
Mit dem zweiten Kurzbericht, der sich mit Bildungswanderungen am Übergang von der Kita zur Grundschule befasst und aufzeigt, welche Effekte Wanderungen zwischen den Schuleinzugsbezirken in den Schulen haben, führt das Bildungsbüro das neue Format ´Kurzbericht` zu aktuellen Bildungsthemen fort.
Der erste Kurzbericht nimmt den offenen Ganztag in den Blick, denn mit der ab 2026 in krafttretenden Gesetzesänderung gehen viele grundlegende Veränderungen in diesem zentralen bildungspolitischen Feld einher.
Das Format ´Kurzbericht` soll als „Working-Paper“ verstanden werden, das zum einen Relevanz, aktuellen Stand und den Rahmen eines Themas skizziert, zum anderen einen Ausblick vermittelt, welche Ziele verfolgt, wie die Themen vorangebracht und wo Herausforderungen gesehen werden. Ein bis zweimal pro Jahr werden, mit aktuellen Daten unterfüttert, spezifische Bildungsthemen in den Fokus genommen und Themen bewusst prominent positioniert, um einen Diskurs im öffentlichen Raum zu initiieren.